Schmeckt nach Kirsch´ - was heisst Cherry?!

01.08.2013 21:35
Moinsn, folks!
Kelowna und das umliegende Okanagan Valley ist genauso schön heiß wie es mir von allen Seiten empfohlen wurde! Direkt vor den Toren der drittgtößten Stadt British Columbias liegt ein riesiger und herrlich aussehender See. Und jetzt bin ich schon wieder einige Zeit hier und durch meinen neuen Job durchgehend am Kirschen essen! Erstmal sah jedoch nicht alles danach aus, als ob die Dinge hier besonders gut für mich starten...
 
Es kam nämlich so, dass ich beinahe ohne Dach über dem Kopf dagestanden wäre, nachdem meine paar Nächte im Hostel, die ich von Surrey aus buchte, vorbei waren. Das Hostel und nahezu alle Herbergen in Kelowna waren aufgrund der Sommer-Ferien-Zeit restlos ausgebucht. Unter den Kanadiern gilt das Okanagan Valley im Sommer als Geheimtip und viele NHL Spieler haben in und um Kelowna ihre Sommerdomizile. Ich hatte also schon bildlich vor Augen, wie ich in den Wal Mart laufe und mir ein 30-Dollar Zelt mit Schlafsack und Campingzubehör kaufen würde (was im Nachhinein eigentlich auch aufregend gewesen wäre), bis auf einmal -und wie aus dem Nichts- ein Ortsansässiger namens George in die "Lobby" des Hostels eintrat. Er fragte in die Runde ob sich jemand am nächsten Tag ein paar Bugs dazuverdienen möchte, es würde sich um ein paar Stunden Gartenarbeit handeln. Ich glaube ich habe noch nie so schnell meine Hand gehoben wie in diesem Moment. Das war schon mal ein Lichtblick, denn ich war an diesem Tag etwas frustriert wegen der ganzen Lage. Am nächsten Tag (gleichzeitig meine letzte Nacht im Kelowna International Hostel), holte mich George nach dem Frühstück, was ich im Hostel hatte (selbstverständlich Pancakes mit Ahornsirup so viel man wollte, mhhh) ab. Seit ich in Kanada bin, habe ich aufgehört zu rauchen und zu trinken, dafür häng´ ich jetzt an der Ahorn-Sirup-Flasche. ;)
Wir fuhren anschliessend  zu einer Organic Farm seines Freundes Carl, welche die beiden auch manchmal WWOOFERN (World Wide Opportunities on Organic Farms) zum Campen und Arbeiten anbieten. Zur Zeit jedoch nicht bzw. nur vereinzelt wenige Stunden wöchentlich, aber wie auch immer. Ich habe dann zusammen mit George auf der Farm Rindenmulch ausgelegt, Rasen gemäht, Unkraut gejähtet, Feuerholz zurechtgesägt, Baumstämme durch die Gegend geworfen. Was Kanadier den Tag über eben so machen. Haha. Währenddessen bin ich mit George ins Gespräch gekommen. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, über alles mögliche. Bis wir auf´s Backpacken kamen und George mir erzählte, dass er damals als Traveller in Neuseeland unterwegs war und dort fast pleite ging und ohne Rückflugticket gewesen wäre. George ist so um die Anfang 50 und im Herzen immer noch ein leidenschaftlicher Backpacker. Er erzählte mir krasse Geschichten aus seinen Reisezeiten. Er ist eigentlich Förster und kümmert sich um die Waldbestände und die Wiederaufforstung, hat u.A. aber auch schon mal eine Zeit lang ein abgelegenes Hotel in den Rockies gemanaget usw. Ich empohl ihm mal ein Buch zu schreiben, denn die Geschichten hörten nicht auf und er hat für sein Alter abgefahrene Pläne. Er verkauft sein Haus und will in Südamerika umher reisen und einfach schauen was auf ihn zukommt. Andere Riestern und arbeiten auf ihre Rente hin, er verkauft sein Haus, packt seine Sachen und schaut was der nächste Tag so bringt. Verrückter und gleichzeitig sehr beeindruckender Typ! Nach dem Tag hat er mir dann jedenfalls (weil er mitbekommen hat, dass ich "Obdachlos" bin), angeboten in seinem Haus zu wohnen. Als Gegenleistung helfe ich ihm, seinen Garten und sein Haus in Stand zu halten. Da meine Unterkunft in Kelowna also erstmal geklärt war, konnte ich frohen Mutes und gut Gelaunt in die nächsten Tage und auf Arbeitssuche gehen, sowie mich zwischendurch mal im Okanagan Lake erfrischen. Der Okanagan Lake ist vergleichbar mit dem Bodensee und hat auch eine Monsterlegende á la Loch Ness. Zahlreiche Wassersportarten werden hier angeboten und rund um den See erstrecken sich die, wegen der Trockenheit, steppenartigen Berge bzw. für kanadische Verhältnisse eher Hügel. Dennoch gibt das Gesamtbild von oben, besonders bei Sonnenauf- und Untergang, ein phantastisches Panorama ab! Als ich eines samstages einen Tagestrip mit George um den See machte, sah ich meinen nächsten Bären! Da George aufgrund seines Berufes und der Tatsache, dass er hier aufwuchs diese Gegend wie seine Westentasche kennt, fuhren wir abgelegene Strecken zurück. Ich war schon einerseits froh als wir wieder zuhause waren, denn George´s kleiner Toyota Corolla ist nicht unbedingt das bestgeeignetste Vehikel für hügelige Schotterpisten im Wald. Das witzige dabei war, dass ich Minuten vorher noch zum ihm sagte wie aufregend es jetzt wäre, wenn dort vorne irgendwo ein Bär aus dem Wald rauskommen würde und kurze Zeit später kam dann wirklich einer! Der Schwarzbär jedenfalls blieb auf der Strasse stehen und blickte in unsere Richtung nachdem wir mit dem Auto anhielten und er uns bemerkte. Er war so ungefähr 100 Meter von uns entfernt, rannte dann aber wieder in den Wald, nachdem ich ausstieg um ein Foto machen zu wollen. Schwarzbären sind sehr schreckhaft und scheuen Dinge, die sie nicht kennen erzählte mir George, ich glaube eher es lag an meiner monströsen Erscheinung! Haha. Das war wieder ein unbeschreibliches Gefühl. Bären sind einfach sagenhaft und haben eine faszinierende Ausstrahlung, echt Hammer!
 
Da ich ja gedacht hatte für den Sommer auf umliegenden Farmen zu arbeiten, fuhr ich mit George die hiesigen Farmen ab und fragte nach, ob sie aktuell einstellen. Zwei Tage später kam eine E-Mail von Dendy´s Cherry Orchard, dass ihre Picking Season Übermorgen los gehe und ich für die Saison eingeplant bin! Das lief schon mal eins A. Keine Woche lang in Kelowna und schon eine günstige Bleibe und einen Job, der gar nicht so schlecht bezahlt ist. Ich arbeite jedoch nicht wie gedacht als Kirschenpflücker, sondern im Kühlhaus. Dort kommen die Kirschen sortiert und gewaschen in Boxen auf einer Rollbahn hineingefahren. Die Kirschen befinden sich aus Schutz vor Verderblichkeit ausserdem noch in einer Plastiktüte, die man dann mit einer ausgeklügelten Falttechnik zumacht. Danach kommt noch ein Deckel auf die Boxen und diese werden dann größengeordnet auf Paletten gesetzt. Am ersten Tag habe ich mir da drin sprichwörtlich den Arsch abgefroren, da es draussen zur Zeit immer angenehme 30 Grad hat, die Kirschen drinnen hingegen bei 0 Grad gelagert werden müssen. Eigentlich hat das ganze viel mit meinem alten Beruf gemeinsam, was mir aber erst nach ein paar Tagen aufgefallen ist und mir reflexartig einen Schrecken eingejagt hat. Die fertigen Paletten gehen nämlich von hier aus in die ganze Welt, sogar nach Deutschland. Hauptsächlich aber nach Fernost (Hong Kong, Taiwan, China usw.). Ich habe von meinem Chef bisher noch keine plausible Antwort erhalten wieso die Kirschen so weite Strecken hinlegen. Müssen doch im Ankunftsland unbezahlbar teuer sein und doppelt und dreifach so viel Kosten wie einheimisch Gewachsene. Angeblich weil sie die besten der Welt sind natürlich. Sie schmecken wirklich sehr gut, aber trotzdem...whatup maaan?! Jedenfalls sind meine Kollegen allesamt total korrekt und umgänglich. WIr haben trotz anstrengenden bis zu 10 Stunden Tagen jede Menge Spaß bei der Arbeit, hören Musik, singen, tanzen, albern rum. Manchmal um uns einfach warm zu halten, wenn die Sortiermaschinen mal etwas runtergefahren sind und man nicht so viel in Bewegung ist. Besonders lustig ist es mit Daniel (einem 25 jährigem Studenten aus Sri Lanka). Diese Woche waren Kunden aus China da, um die Qualität der Kirschen und den Abfertigungsprozess zu prüfen. Während der Zeit war absolutes Kirschen-Essen-Verbot! Neben Daniel sind noch 2 Jungs aus Montreal im Kühlraum, mit denen ich mich auch schon angefreundet habe und jetzt auch die Möglichkeit habe in Montreal unterzukommen, wenn sich meine Pläne dahingehend ändern sollten. Generell sind auf der Farm viele aus Quebec und fast alle reden ausschließlich französisch, wenn sie unter sich sind. Das kann manchmal etwas nerven, wenn sie nicht bemerken, dass auch andere (Nicht-Quebecoirs) in der Runde sind. Die Kirsch-Farm-Arbeit ist für Leute aus Quebec sehr beliebt, sodass ca. 80% der Arbeiter Quebecoirs sind. Jedes Jahr kommen viele junge Leute von dort ins Okanagan Valley, um hier für die Saison zu arbeiten. Franc und Jean-Christophe (die 2 aus Montreal) sind, sage und schreibe, vier!! Tage lang mit dem Greyhound Bus hierher gefahren und wollen anschliessend die Westküste entlang bis runter nach San Fransisco. Daniel ist sein zweites Jahr hier und sagte mir, dass er letztes Jahr gutes Geld verdient hat, es diese Saison aber etwas schlechter aussieht wegen des regnerischen Frühlingswetter. Die Kirschbäume tragen im Vergleich etwa 1/4 weniger Früchte. Wie es aussieht wird die Saison nicht ganz so lang und die Welt muss mit dem Essen der "weltbesten" Kirschen etwas kürzer treten. Wenn die Wetterlage es nicht zulässt wird nicht gearbeitet, das heisst nur bei sonnigem Wetter kann geerntet werden und dann gibt es die langen Arbeitstage, und die bis zu 10 Tage am Stück. Aktuell habe ich noch einen zweiten Job als Housekeeper, da George beruflich 2 Wochen in den Norden fahren musste und mir kurzerhand sein Haus und Garten anvertraute. Find´ ich bärenstark, dass er mir einfach so, so viel Verantwortung überträgt und Vertrauen schenkt! Nach langen Tagen im Kühlraum pflege und hege ich also noch seinen Grund und Boden. Es schlaucht mittlerweile schon etwas, aber wenn ich hier bisher eins gelernt habe, dann ist es "Take it easy"! ;) Zur Arbeit komme ich mit George´s Fahrrad, mit dem ich etwa 20 Minuten bergauf fahren muss, und was hoffentlich nicht wieder geklaut wird, hehe. Mein Kreislauf ist morgens also schon gut in Schwung und abends, beim runtercruisen, kann ich den Blick über Kelowna, den Okanagan Lake und die, hinter den Bergen untergehende, Sonne genießen (wunderschön!). Ansonsten habe ich mich hier nach einem Baseballteam umgeschaut und bin auch fündig geworden, allerdings wird in Kelowna fast nur Slowpitch gespielt, was nur halb so viel Spaß macht. Die Fastpitchteams sind alle weiter weg und das öffentliche Verkehrsnetz kann Kelowna nun nicht gerade als sein Vorzeigepferd nennen! Aber nun gut, im Moment wäre dafür eh leider kaum Zeit. Diese Woche habe ich interessante Neuigkeiten von Papa aus Deutschland erhalten. Ich bin für dieses Wintersemester in meinem Wunschstudiengang in Fulda zugelassen worden, was bedeuten würde, dass ich Kanada ein halbes Jahr früher als gedacht verlassen müsste. Ich habe das gemacht, um einfach mal zu sehen ob ich überhaupt eine Chance habe genommen zu werden und nun habe ich ein Luxusproblem und stehe vor der Qual der Wahl. Lange Zeit zum Überlegen bleibt mir nicht, aber ich tendiere schon in eine Richtung. Yolo und so! ;) Ende August, wenn die Saison zu Ende ist, kommt Kevin rübergeflogen und pickt mich in Kelowna erstmal mit unserem gemieteten Campervan auf und von hier fahren wir in Richtung Rocky Mountains auf Entdeckungs-Abenteuer-Unternehmugs-Road-Trip-Fun-Tour!! Ich fiebere dem schon jeden Tag entgegen, denn das wird mit Sicherheit bombastisch! Wieder mehr sehen und Kanada noch intensiver von seiner "echten" Seite entdecken! :) It´s gonna be awesome! 
 
Ich hoffe mal, ihr seid nicht mehr all zu stark am Schwitzen und falls es doch immer noch so schwül und heiss ist, denkt an mich im Kühlraum! ;) Habt eine gute Zeit! Grüße